Die Solidarität kommt in Kisten

Eine Frühschicht bei der Dortmunder Tafel

Für die Arbeit der Ehrenamtlichen gibt es keine Maßeinheit in der Volkswirtschaft. Doch mit ihrem Engagement erzeugen die Freiwilligen einen unmessbaren Mehrwert für die Gesellschaft. Allein bei der Dortmunder Tafel sind 450 Helfer aktiv, um rund 10 000 Bedürftige mit Lebensmitteln zu versorgen. 1400 von Armut betroffene Dortmunder stehen auf einer Warteliste für Einkäufe bei der Tafel, die für ein größeres Angebot noch mehr Ehrenamtliche sucht. Wir haben deshalb eine Frühschicht begleitet.

Erst ein Kaffee in der Küche

Start in die Schicht

Es ist bitterkalt an diesem Mittwochmorgen in Dortmund. Raureif hat in der Nacht die Straßen überzogen. In der gemütlichen Kantine der Dortmunder Tafel an der Straße „Osterlandwehr“ in der Nordstadt sitzen Monika Schlüter und Haidar Razooki vor Brot, Butter, Marmelade und zwei Tassen Kaffee. Daneben eine rote Mappe mit der Aufschrift DO - TA 3400.

Monika und Haidar – wie fast alle Tafel-Helfer sind sie „per Du“ – haben die 34er-Tour. Auf rund 60 Kilometern sind sie bis zur Mittagszeit unterwegs, um bei Supermärkten, Discountern und großen und kleinen Bäckereien gut erhaltene Lebensmittel einzusammeln und mit dem Kleintransporter zur Tafel-Zentrale zu fahren.

Dort, in einem der engen Innenhöfe einer früheren Wäscherei, warten schon mit Handschuhen und Schürzen ausgestattete Ehrenamtliche auf die Ware, um sie für den Verkauf im Tafel-Laden in der Osterlandwehr und in den sieben Filialen zu sortieren. Der von Gabelstapler, Rollwagen und LKW beanspruchte Hof ist ein Umschlagplatz nicht nur für Lebensmittel, sondern auch für Solidarität und Nächstenliebe.

Die 61-jährige Monika Schlüter arbeitete vor ihrer Pensionierung als Baudezernentin in Werne, bevor sie sich für die Arbeit bei der Tafel entschied. Haidar Razooki (46) ist Informatiker aus dem Irak und spricht sechs Sprachen. Sie sind zwei von 450 Ehrenamtlichen, die für die im Jahr 2004 gegründete Dortmunder Tafel im Einsatz sind, um Bürger mit zu geringem Einkommen günstig mit Lebensmitteln zu versorgen.

Tafel-Kunden erhalten einen Ausweis, nachdem sie ihre Bedürftigkeit mit dem Hartz-IV-Bescheid oder einer kleinen Rente nachgewiesen haben. Die Tafel kann längst nicht alle Wünsche erfüllen – 1400 von Armut betroffene Bürger stehen aktuell auf einer Warteliste, die seit 2004 nicht kürzer werden will.

„Eigentlich ist es unser Ziel, die Tafel wieder zu schließen. Aber das gelingt irgendwie nicht“, sagt Monika Schlüter auf der Fahrt zwischen der Zentrale und dem Bäcker Grobe. Die Tafel schließt eine Lücke zwischen dem offiziell berechneten „Warenkorb“ der Hartz-IV-Empfänger und dem tatsächlichen Bedarf, der die Kunden zur Tafel treibt. Das Geld, das die Kunden beim Tafel-Einkauf sparen, sollen sie für Teilhabe in anderen Bereichen ausgeben können.

Die Tafel-Idee ist umstritten, weil sie den Staat aus seiner Fürsorgepflicht entlasse. Monika Schlüter kann diese Kritik nachvollziehen. „Mein Standpunkt: Wenn Sozialleistungen nicht ausreichen, muss ich eben helfen. Weil das Leben teurer ist, als man es sich mit Hartz IV leisten kann.“ – „Anderen etwas geben: Das ist doch ein gutes Gefühl“, meint Haidar Razooki am Steuer des Dreieinhalbtonners auf der Fahrt zur nächsten Abholstation.

Wenn Monika und Haidar rückwärts an die Laderampen der Supermärkte und Discounter fahren und aussteigen, um für den Tafel-Verkauf aussortierte Lebensmittel aufzuladen, begegnen sie dem Überfluss: Nicht verkaufte Lebensmittel, die in den Müllcontainern der Händler landen würden, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum naht.

Das sind gut erhaltene Molkereiprodukte, Wurst, Obst, Gemüse und Konserven, die in Einkaufswagen, Tüten, Pappkartons und stabil stapelbaren Plastikkisten für den Abtransport mit dem Kühlwagen bereit stehen. 60 Kilometer legt ein Team im Fahrdienst pro Schicht zurück. Nach der Warenannahme in den Supermärkten folgt die Auslieferung zu besonderen Kunden: Die Kana-Suppenküche in der Mallinckrodtstraße und ein Frühstückstreff im Wichernhaus an der Stollenstraße sowie Jugendtreffs gehören zu den Abnehmern, die für Bedürftige kochen und servieren. Rita Feldkamp von der Bäckerei Stöve in Scharnhorst freut sich, wenn sie Tafel-Helfer am Hintereingang der Backstube trifft. „Es ist gut, dass es die Tafel gibt“, sagt sie – und: „Gute Lebensmittel wirft man doch nicht weg.“

Zu den Ehrenamtlichen der Tafel gehört auch eine 35-jährige Frau, die im Verkauf aushilft. Nach einem Schlaganfall kann sie nicht mehr hauptberuflich arbeiten. Ihr Mann arbeitet bei einer Zeitarbeitsfirma, erhält 8,50 Euro pro Stunde. Für die Familie mit drei Kindern reicht das hinten und vorne nicht. „Wir beziehen Hartz IV, aber arm fühle ich mich nicht. Weil ich eine Familie habe, die ich liebe“, sagt die Mutter.


Den Mangel erträgt sie mit Würde: „Die Wünsche meiner Kinder kann ich erfüllen, meistens vier Wochen später als andere Eltern, die mehr Geld haben. Dann spare ich und stelle meine Bedürfnisse im Interesse der Kinder zurück. Ich finde, wer das nicht mehr kann, ist tatsächlich arm.“ So selbstbewusst die 35-jährige Tafel-Verkäuferin auch ist: Die Kinder schämen sich, dass ihre Mutter bei der Tafel einkaufen muss. Sie arbeitet dort, weil sie nicht die Hände aufhalten will. „Die Kinder sollen sehen, dass sie etwas tun müssen, wenn sie etwas erreichen wollen.“

Monika und Haidar sind in Gedanken schon auf der nächsten Tour. Sie brauchen neue Kollegen und noch mehr Lebensmittelspender, damit die Warteliste mit den 1400 Neukunden kürzer werden kann.

„Meine Kinder schämen sich dafür, dass wir bei der Tafel einkaufen müssen. Ich arbeite hier, um ihnen zu zeigen, dass man etwas dafür tun muss, wenn man etwas erreichen will. Wir beziehen Hartz IV, aber arm fühle ich mich nicht. Weil ich eine Familie habe, die ich liebe.“

„Vielen Menschen geht es nicht gut – aber mir geht es gut. Da ist es für mich eine Bürgerpflicht, sich um die zu kümmern, denen es nicht gut geht. Es ist beschämend, dass es so viele gibt, die Hilfe brauchen.“

„Nach der Ankunft in Dortmund habe ich als Christ sofort Anschluss an die St.-Urbanus-Gemeinde in Huckarde gefunden und gefragt, wo ich helfen kann. Ich bin glücklich, weil ich Gutes tun kann.“

„Viele Menschen helfen uns Flüchtlingen – bei der Tafel helfen wir zurück. Über diese Mitarbeit lerne ich auch viel besser Deutsch. Das ist wichtig für die Integration.“

„Mildtätige Organisationen und Hilfe gibt es auch in Syrien – also leisten wir sie auch hier. Über die Tafel habe ich viele gute Freunde gefunden.“

2004 startete die Tafel in der Haydnstraße in der Nordstadt. Jetzt gibt es acht Verkaufsstellen im Stadtgebiet. Ein Einkauf kostet pauschal 3 Euro.

Verkaufsstellen gibt es zweimal in der Nordstadt sowie in Hörde, Scharnhorst, Körne, Wickede, Huckarde und Dorstfeld.

Spenden an IBAN DE 1144050199 0001162861 / BIC DORTDE33XXX


Kontakt: Zentrale an der Osterlandwehr 31-35, Tel. 0231 / 47 73 24 0


info@dortmunder-tafel.de
www.dortmunder-tafel.de

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Die Solidarität kommt in Kisten
  1. Der Mehrwert durch das Ehrenamt
  2. Erst ein Kaffee in der Küche
  3. Armut auf der Warteliste
  4. Das Leben ist zu teuer für Hartz IV
  5. Geld reicht hinten und vorne nicht
  6. Eine Mutter (35)
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