Das Paradies ist Geschichte. Seit einem halben Jahr besteht das Leben der Familie Sundermann aus Dreck, Lärm und Ölgeruch. Ihr Bauernhof im malerischen Amtsvenn, einem der bedeutendsten Restmoore Nordrhein-Westfalens, ist Sperrgebiet.


Wie es hier aussieht? Claudia Sundermann zeigt auf eine von Unkraut übergewucherte, verkommene Wiese. "Früher stand der Mais hier drei Meter hoch. Aber wofür sollen wir uns jetzt noch darum kümmern?" Jetzt, nachdem das Öl ihnen fast alles genommen hat. Immerhin wächst auf dieser Wiese noch Unkraut. Drumherum gibt es nicht einmal mehr Wiesen, auf denen überhaupt noch Unkraut wachsen könnte. 


Hier, im bäuerlichen Idyll des Westmünsterlandes zwischen Ahaus und Gronau, leben die Sundermanns auf ihrem Hof. Vater Willy hat ihn vor über 60 Jahren übernommen, Schwiegertochter Claudia lebt seit zehn Jahren dort.

Eine Lebensgrundlage bildet die Landwirtschaft zwar nicht mehr – die Sundermanns betreiben den Hof nur noch als Nebenerwerb – doch das Gehöft mit seinen Wiesen und Weiden ist ihr Zuhause.


War ihr Zuhause.


Jetzt verhandeln Anwälte darüber, was mit dem Grundstück passiert. Vermutlich wird es ein großes Unternehmen kaufen. Der 12. April 2014 hat alles verändert, da haben sie nahe dem Sundermannschen Hof das erste Mal Öl gefunden. Dann kamen Männer in Schutzanzügen und Gasmasken, Zäune wurden aufgestellt, Ölsperren platziert und Bohrtürme errichtet. Journalisten besuchten das Gelände und auch Politiker.


All das hat den Sundermanns, auf deren Grundstück sich eine Umweltkatastrophe abspielt, nicht geholfen. Die Familie ist verzweifelt, weil sie nicht weiß, wie es weitergeht. Die Nacht verbringt sie seither im Hotel. „Die Ohnmacht und Hilflosigkeit ist da. Es ist ein Albtraum, besonders für die Kinder“, sagt Claudia Sundermann. Ihr Jüngster, sieben Jahre alt, habe gesagt: „Hier ist es nicht mehr schön. Ich will hier nicht mehr bleiben.“ 

Wie kam es dazu, dass mit dem Öl nicht nur das Gelände rund um den Hof der Sundermanns, sondern zugleich ihr ganzes Leben umgegraben wurde? Die Chronik eines Albtraums, aus dem es bislang kein Erwachen gibt.

 

Der Tag, an dem das Öl kam

Es ist Samstagnachmittag, der 12. April, 16.30 Uhr. Der Pächter einer Weide, nur hundert Meter vom Hof der Familie Sundermann entfernt, entdeckt auf seiner Wiese Ölspuren. Seine Kühe stehen mittendrin, einige haben von der giftigen Brühe getrunken und verhalten sich auffällig. Der Mann alarmiert die Behörden.


Am folgenden Abend beteuern der Kreis Borken, die Bezirksregierung Arnsberg und die Salzgewinnungsgesellschaft SGW als Betreiber der Kavernen in einer gemeinsamen Presseerklärung, dass innerhalb von Minuten SGW-Personal vor Ort gewesen sei. Ölsperren seien sicherheitshalber in Gräben rund um die Fundstelle gesetzt worden. Drei Kubikmeter Öl-Wasser-Gemisch habe man abgesaugt, heißt es und weiter: „Nach jetziger Kenntnis ist der Schaden auf diese Weidefläche begrenzt“. Es soll ganz anders kommen - das Ausmaß der Katastrophe kann zu dieser Zeit noch niemand absehen.

Das Unglück hatte sich angekündigt: Bereits im Februar misst die SGW in der Kaverne S5, in der sie für die Firma BP Öl speichert, einen auffälligen Druckabfall. Der SGW-Betriebsleiter Martin Hart spielt den Vorfall zunächst herunter. Er sagt: „Es handelt sich nicht um einen Störfall, sondern nur um eine auffällige Messung.“ Auf die Frage jedoch, warum der Druck gesunken sein könnte, weiß auch Bergvermesser Georg Hengst, der seit über 40 Jahren bei der SGW arbeitet, keine Antwort. „So einen Druckabfall haben wir noch nicht gemessen“, sagt er.

Im Amtsvenn, das seit über 30 Jahren unter Naturschutz steht, beginnt hektische Betriebsamkeit. Am Bohrloch soll die Metallummantelung mit einer Sonde überprüft werden. Sechs Kühe, die an der Fundstelle kontaminiertes Wasser getrunken hatten, werden sofort getötet. 


In den Folgetagen werden weitere Ölsperren in Gräben gesetzt, verseuchtes Erdreich abgegraben und vor allem wird versucht, keinen Zusammenhang zu der nahen Kaverne herzustellen, in der hunderttausende Tonnen Erdöl lagern.


Am Dienstag, den 15. April dann, wird klar, dass es sich um mehr als einen kleinen Zwischenfall handelt: In einem Waldstück, rund 150 Meter von dem ersten Öl-Fundort entfernt, hat sich ebenfalls Rohöl am Waldboden gesammelt. Die hektische Betriebsamkeit gewinnt an Fahrt. Teile des Waldes werden abgeholzt, um Untersuchungsbohrungen durchführen zu können. Und auch auf dem Hof der Familie Sundermann nimmt das Unheil seinen Lauf. Klaus Sundermann tritt auf einer seiner Wiesen in mehrere Ölpfützen. Im Video erinnert sich Claudia Sundermann an diesen Tag: 


Nun ändert die Salzgewinnungsgesellschaft ihre bisherige Einschätzung: „Es wird noch weitere Fundstellen geben“, sagt SGW-Sprecher Dirk Schulte. Die Streuung der bisherigen Stellen spreche dafür. Einen Zusammenhang mit dem Druckabfall an der Kaverne will der Betreiber aber weiterhin nicht herstellen.

 Stattdessen nehmen die Experten eine unterirdische Öl-Pipeline ins Visier, vermuten dort ein Leck. Ernsthafte Sorgen macht man sich unterdessen beim Bund für Umwelt- und Naturschutz BUND: „Wenn die Ursache tatsächlich unterirdisch in den Kavernen liegen sollte, würde  ich mir noch größere Sorgen machen“, sagt Sprecher Dirk Jansen. Besonders der schon im Februar gemessene Druckabfall sei für ihn ein klares Indiz. „Druckabfall heißt für mich, dass dort ein Leck ist." Und so geht die fieberhafte Suche nach dem Leck weiter. Aus Tagen werden Wochen, aus Wochen Monate.


 



Erst Anfang Juli sind die umfangreichen Drucktests an der Kaverne S5 abgeschlossen. Die Bezirksregierung informiert die Öffentlichkeit. Fast schon erleichtert klingt Friedrich Wilhelm Wagner, Leiter der Abteilung Bergbau und Energie der Bezirksregierung Arnsberg, als er sich zum Ergebnis äußert: "Wir sind heute hier, weil wir bekannt geben konnten, dass (...) wir nur eine Leckage in 217 Metern Tiefe haben." Das Öl ist dort durch einen Defekt an einer Rohrmuffe ausgetreten. 


"Eine mögliche Ursache sind Bergbewegungen", sagt der Sprecher der Bezirksregierung, Andreas Nörthen, später auf Anfrage. Wie groß die Ölmengen sind, lässt sich damals nur grob abschätzen - anhand der ausgekofferten Bodenmengen und der Mengen an Öl, die im Wasser und im Oberboden festgestellt wurden. Was noch darunter lauert, weiß niemand. Bis heute nicht. Um zu verstehen, warum dort unten überhaupt Rohöl gespeichert wird, müssen wir weit zurückschauen - bis ins Jahr 1973


 


 


 

Öl ist das Elixier, das die Industrienationen am Leben hält. Das war auch schon damals so, als die westliche Welt Israel den Rücken freihielt und gleichzeitig am Treibstoff-Tropf der arabischen Nationen hing. Israel führte im Oktober 1973 Krieg gegen Syrien und Ägypten. Im Laufe dieses Jahres sollten die Verbündeten des von den arabischen Staaten ungeliebten jüdischen Staates für ihre Unterstützung bezahlen.

So beschlossen die Staaten Algerien, Irak, Katar, Kuwait, Libyen, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate am 16. Oktober 1973 den Hahn, durch den das lebenswichtige Elixier Erdöl in den Westen fließt, ein wenig zu schließen und den Preis zu erhöhen. Die Fördermenge wurde um fünf Prozent verringert, der Preis stieg um rund 70 Prozent.

Die Folgen waren verheerend und direkt spürbar. Für jeden, auch in Deutschland. Unter anderem wurde kurzfristig das Tempolimit auf deutschen Autobahnen auf 100 Km/h und auf Landstraße auf 80 Km/h festgesetzt. Am 25. November wurde sogar ein bundesweites Fahrverbot erlassen.Westeuropa musste einsehen, wie abhängig es vom Öl aus dem Nahen Osten ist.

Und so forderten die EG-Außenminister Anfang November 1973 Israel dazu auf, die seit dem Sechs-Tage-Krieg besetzten Gebiete zu räumen. Einen Monat später drehte die OPEC den Hahn allmählich wieder auf. Doch es geschah noch etwas anderes und es geschah viele Meter tief unter dem Hof der Familie Sundermann in Gronau-Epe.

1974 wurde damit begonnen, die Salzkavernen, gigantische Hohlräume, die durch den Abbau von Salz entstanden waren, mit Rohöl zu füllen. Die strategische Ölreserve der Bundesrepublik wurde ausgebaut und sollte von nun an den Ölbedarf des gesamten Landes für 90 Tage decken. Im Münsterland entstand so die größte Kavernenspeicheranlage Europas. In einer Tiefe von 1100 bis 1500 Metern können bis zu 1,4 Millionen Kubikmeter Rohöl und 4,7 Milliarden Kubikmeter Gas eingelagert werden.

In ganz Deutschland werden Salzkavernen in Ölspeicher und auch in Gasspeicher umfunktioniert. Die Sorge um die Rohstoff-Abhängigkeit treibt immer mehr Öl und Gas in den Boden. Inzwischen hat Deutschland die viertgrößte unterirdische Speicherkapazität: rund 22 Milliarden Kubikmeter - das entspricht einem Würfel mit fast drei Kilometern Kantenlänge.

Und damit nicht genug: Weil Gas einen immer größeren Anteil am Energiemix einnimmt, wird der Ausbau von Kavernen zur Gasspeicherung von den Konzernen weiter forciert. Knapp 250 Gaskavernen gibt es bereits in Deutschland, 128 weitere sind geplant, 8 davon im Kavernenfeld Gronau-Epe.

Doch von dem, was tief im Untergrund passiert, merkte man im beschaulichen Westmünsterland bisher nicht viel. Auch für Familie Sundermann war es lange unsichtbar. Sie wussten zwar, dass dort unten Rohstoffe liegen, doch Probleme gab es damit nie. Bis zu dem schicksalhaften Tag im April 2014.
 

Ein Einbahnstraßenschild am Hof der Familie Sundermann. Als sich  das Ausmaß des Unglücks abzeichnet, muss die Familie Grund und Boden fluchtartig verlassen. Bis heute traut sie sich nicht zurück.

Als das Öl an gleich drei Stellen aus dem Boden quillt, den Hof der Sundermanns umzingelt, als klar wird, dass sich hier eine Katastrophe anbahnt, muss es schnell gehen. Die Familie zieht in ein Hotel, doch mit Kofferpacken ist es nicht getan. Ein ganzer landwirtschaftlicher Betrieb muss buchstäblich über Nacht umziehen, die Pferde müssen weg und auch die Hühner. 

Schnell kommen die Gaffer, die Katastrophentouristen, das Fernsehen und auch die Politiker. Die Bürgermeisterin sogar mehrfach.  
 

"Die Wahl stand ja bevor, da war das Politikeraufkommen sehr groß", sagt Frau Sundermann zynisch. Auch Wirtschaftsminister Duin und Umweltminister Remmel zeigen sich auf dem Hof und sie zeigen sich besorgt.

Nach der Wahl kommt keiner mehr, außer den Männer und Frauen mit den gelben Helmen, den Gummistiefeln und weißen Schutzanzügen, die Lastwagen, die Bagger und die rollenden Labore. Mit den Folgen des Öls fühlt sich die Familie seither von der Politik größtenteils alleingelassen.
 

Rund ein halbes Jahr dauert der Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt, nun an. Und noch immer sieht jeder Tag von Familie Sundermann aus wie der andere. Tagsüber darf die Familie auf ihren Hof, die Nacht verbringen sie im Hotel. Denn Ruhe gibt es hier an dem Ort, der früher einmal, so erzählt Frau Sundermann, eines der stillsten Fleckchen Erde war, nicht mehr. "Die Arbeiten laufen 24 Stunden am Tag. Der Saugwagen fährt auch nachts. Früher haben wir hier wirklich gut gelebt, die Kinder konnten spielen, laut sein, machen was sie wollen. Das ist alles weg."


Also bringt Claudia Sundermann ihren siebenjährigen Sohn morgens vom Hotel in die Schule, mittags holt sie ihn auf den Hof, abends geht es zurück ins Hotel. Früher holte der Schulbus den Junior ab, eigens für ihn wurde die Haltestelle "Sundermann" vor dem abgelegenen Hof eingerichtet.

Doch der Bus kommt nicht mehr. Weil alle Zufahrten zum Hof abgesperrt sind. Aber auch, weil viele Eltern panische Angst vor dem Öl haben und gar nicht wollen, dass der Bus durchs Unglücksgebiet fährt, erzählt Frau Sundermann. Wenn der Jüngste mit seinen Freunden spielen möchte, dann muss er jetzt zu ihnen gehen. Trotz Riesentrampolin und Klettergerüst auf dem Hof der Sundermanns: Die anderen Kinder kommen nicht mehr, nur die Bagger, die Bauarbeiter - und die Frau vom Umweltlabor, die regelmäßig Luft-, Boden- und Wasserproben entnimmt. "Bis nächste Woche", verabschiedet sie sich.

Die Szenerie mitten im Amtsvenn wirkt surreal, der Hof wie eine Oase mitten auf dem Mars. Eingekesselt von den drei Ölfundstellen auf den angrenzenden Weiden und in einem Waldstück, ist das Haus der Sundermanns bislang verschont geblieben. Doch rundherum blickt die Familie auf eine Kraterlandschaft.
 

 Die einst saftige Weide haben die Bauarbeiter direkt vor der Hofeinfahrt zu einem stattlichen Erdhügel aufgeschoben; die Einfahrt zum Hof hat sich durch die tonnenschweren Lastfahrzeuge, die hier täglich ein- und ausfahren abgesenkt. Noch immer trägt der Wind Ölgeruch über den Hof. "Zum Glück ist es nicht mehr so warm. An heißen Tagen war der Gestank zum Teil unerträglich", sagt Claudia Sundermann.

Wie es weitergeht, darüber verhandeln seit Monaten die Anwälte der Sundermanns und der SGW. Unternehmenssprecher Dirk Schulte sagt auf Anfrage: "Wir sind gewillt, mehr als nur den materiellen Schaden zu begleichen. Uns wäre es auch lieb, hier schneller voranzukommen." Über die Gründe für die Hängepartie möchte er offiziell nichts sagen. Nur soviel: "Die SGW hat sich bislang großzügig gezeigt. So übernehmen wir beispielsweise weiterhin die Kosten für die Hotelunterbringung der Sundermanns, obwohl die Familie nach Einschätzung der Bezirksregierung inzwischen auch wieder auf dem Hof leben könnte" , sagt Schulte.

Doch Familie Sundermann will nicht zurück. Sie will woanders neu anfangen. "Wir haben nicht mehr das Gefühl, hier zu Hause zu sein, haben Angst, auf einem Pulverfass zu sitzen. Weiß ich denn, ob nicht morgen das Öl direkt vor unserer Haustür aus der Erde kommt - und dann muss ich wieder weg?" 

 

So dramatisch das Schicksal der Sundermanns ist: Die Sache sei wohl noch einmal glimpflich ausgegangen, sagt Dr. Ralf Krupp. "Man kann von Glück sprechen, dass in diesem Fall nur ein Rohr defekt war", meint er. Krupp ist Geologe, promovierter Geo-Chemiker und Mineraloge. Und er ist Mitglied in der Asse-Begleitgruppe, die Empfehlungen zur Sicherung des Atommülls im Bergwerk Asse erarbeitet. 
 

Wer Krupps Aussage als zynisch empfindet, den erstaunt, dass Claudia Sundermann über die Havarie im Amtsvenn dasselbe sagt: "Zum Glück war nur ein Rohr defekt. Anfangs war ja auch die Angst da, dass etwas an der Kaverne selbst kaputt sein könnte." Denn ein Rohr kann, wenn auch aufwändig, repariert werden. Ein Kaverneneinsturz hingegen wäre der GAU - der größte anzunehmende Unfall im Kavernenbergbau.

Die Bezirksregierung Arnsberg fordert als Konsequenz aus dem Unfall, dass alle Ölspeicher im Amtsvenn umgerüstet werden. Die Rohre, durch die das Öl  fließt, müssen künftig doppelwandig sein. Zwischen den Rohrwänden befindet sich dann eine Flüssigkeit. Mit Hilfe einer Messsonde können Druckabfälle sofort registriert werden. Bei Gaskavernen ist das heute schon so. "Das sind die Anforderungen, die wir für den künftigen Betrieb an den Betreiber der Ölkavernen stellen werden", sagt Andreas Nörthen, Sprecher der Abteilung Bergbau und Energie bei der Bezirksregierung Arnsberg. Weitere Unfälle sollen damit so gut wie möglich ausgeschlossen werden.

So gut wie möglich?

"Früher hieß es bei den Kavernen immer, dass sie absolut sicher sind. Jetzt plötzlich sprechen die Verantwortlichen von einem Restrisiko. Aber wer hat das zu tragen? Das sind wir", sagt Claudia Sundermann. Zu diesen Restrisiken zählen auch Risse an Häusern. Anwohner im Kavernenfeld registrieren seit dem Jahr 2008 vermehrt Schäden an ihren Gebäuden. Etwa 200 von ihnen haben sich in der "Interessengemeinschaft Kavernenfeld" zusammengeschlossen. Sie befürchten, dass sie auf den Kosten für die Schäden sitzen bleiben. Ihr Sprecher Ralf Elbers erklärt bei einem Ortstermin im Video, worum es den Anwohnern geht:

Die Risiken des Kavernenbetriebs würden unterschätzt, sagt auch der Geologe Krupp. Im Mai lädt ihn der Umweltausschuss in Gronau, um seine Meinung zu möglichen Gefahren der unterirdischen Gas- und Ölspeicher zu hören. Was er zu sagen hat, trägt nicht zur Beruhigung der Anwohner bei: Neben Erdsenkungen und Rissen an Wohngebäuden und Häuserschiefständen drohten auch Gasexplosionen oder gar der Extremfall: Kavernen, die undicht werden und schließlich sogar einstürzen. Die SGW lässt sich  bei der Anhörung wegen "terminlicher Gründe" entschuldigen. 

Ein fiktionales Szenario? Nein. In Bayou Corne, im US-Bundesstaat Lousiana, ist so etwas bereits passiert. Dort kollabierte im August 2012 eine Salzkaverne, Hunderte Bewohner mussten ihre Häuser verlassen. "Bayou Corne ist die größte andauernde Industrie-Katastrophe, von der Sie noch nichts gehört haben", konstatierte Tim Murphy von "The Atlantic" vor etwas mehr als einem Jahr. Das Loch frisst sich immer weiter voran, verschlingt dabei ganze Wälder. In Bayou Corne sei eine Kaverne bis zu einem Punkt ausgesolt worden, an dem praktisch kein Salz mehr vorhanden gewesen sei. Dadurch wurde sie undicht und stürzte schließlich ein, erklärt Ralf Krupp. Bilder, die auch in Deutschland denkbar sind? "Die geologischen Gegebenheiten sind hier nicht grundlegend anders als in den USA", sagt Krupp.
 

Dirk Schulte, Sprecher von Solvay, dem Hauptanteilseigner der SGW, widerspricht entschieden: "Wir haben im Münsterland keine Salzsstöcke wie in Bayou Corne, sondern kilometerbreite, flache Salzlinsen. Da stoßen Sie nicht mal eben so an den Rand" , sagt er. 

Krupp fordert hingegen: "Wir brauchen beim Kavernenbetrieb eine völlig neue Sicherheitskultur. Unsere bisherigen Vorstellungen zur Sicherheit von Kavernen sind nicht haltbar." Das gelte im Übrigen auch für die Frage, was eigentlich mit den Kavernen nach Betriebsende passieren soll.

Nicht haltbar ist für Krupp die gängige Vorstellung, man könne die Hohlräume dann einfach mit gesättigter Salzlösung füllen und druckdicht verschließen. "Das wird nicht funktionieren", sagt Krupp, der dazu eigene Berechnungen angestellt hat. Das Gestein würde weiter konvergieren, das heißt: Es wäre bestrebt, die durch den Salzabbau entstandenen Hohlräume zu schließen. Weil die Salzlösung als Flüssigkeit aber nicht komprimierbar ist, könnte sie durch Risse im Deckgebirge herausgedrückt werden, an die Oberfläche treten und dort das Grundwasser versalzen.

Nur eine Verfüllung mit Feststoffen könnte das Gebirge dauerhaft stabilisieren. Dazu wären riesige Mengen solcher Feststoffe nötig. "Wir sollten uns die Frage stellen: Wieviele Kavernen brauchen wir eigentlich in Deutschland?" Schon jetzt lagere eine Gasmenge unter der Erde, die Deutschland ein halbes Jahr mit Energie versorgen könnte.

SGW-Sprecher Schulte weist die Kritik von Krupp entschieden zurück. Wenn der Betrieb der Kavernen irgendwann einmal eingestellt werde, sei das kein Problem: "Wir halten die anschließende Verfüllung mit gesättigter Sole für sicher. Wenn man stattdessen einen Feststoff will, könnte man auch Beton verwenden", erklärt er. Das sei ebenfalls realistisch. Er fügt  aber hinzu: "Wir haben eine Betriebserlaubnis für die Kavernen in Gronau-Epe bis zum Jahr 2069. Das sind noch mehr als 50 Jahre. Man könnte sie danach aber auch theoretisch endlos weiterbetreiben."  Von daher sei die ganze Debatte zum jetzigen Zeitpunkt "unredlich", so Schulte. 

Bis zum Ende des Kavernenbetriebs im Jahr 2069 warten, das können und wollen die Sundermanns nicht. Hier ist nicht mehr ihre Heimat. Irgendwann einmal soll das zerstörte Gelände renaturiert werden, sollen hier wieder Kühe weiden können. Wann, das können weder die Bezirksregierung noch die Salzgewinnungsgesellschaft Westfalen sagen. 

Wie lang sich die Hängepartie um die Hofübernahme noch hinzieht, weiß Claudia Sundermann nicht. Das Leben im Hotel zehrt an den Nerven der Frau, die nicht so wirkt, als würde sie irgendetwas schnell umwerfen. "Man macht vielleicht den Eindruck man sei ganz tough und hält das alles aus - aber so ist das nicht. Es gibt Tage, an denen man nur noch heulen will, weil man einfach nicht weiß wie es weitergeht." sagt sie. Ihre Hausärztin helfe ihr über solche Tage hinweg. Die Ungewissheit, das sei für die Familie das Schlimmste. 


Doch das Hotel plant weiterhin mit den Sundermanns. "Die haben schon angefragt, ob sie für uns einen Weihnachtsbaum mitbestellen sollen - und ob wir uns nicht für die Silvesterparty eintragen wollen." Noch haben die Sundermanns nicht zugesagt. "Wir hoffen immer noch, dass das nicht der Fall ist", sagt Frau Sundermann. Eins aber hat sie im letzten halben Jahr gelernt: "Möglich ist alles."

Nur noch wenige Tage bis Weihnachten. Wir wollen wissen, wie es Claudia Sundermann und ihrer Familie in den letzten Wochen ergangen ist.
 

Vor allem bewegt uns eine Frage: Müssen sie Weihnachten tatsächlich im Hotel verbringen?
 

Wir rufen in unserer Redaktion in Ahaus an und erkundigen uns. Was wir hören, stimmt uns zuversichtlich. Es soll ein halbwegs versöhnlicher Jahresausklang werden. Das Schicksal, das über acht Monate das Leben einer Familie komplett durcheinander wirbelte, bekommt endlich eine glückliche Wendung.

Warum das Hotel den Christbaum für die Sundermanns nun doch nicht bestellen musste, lesen Sie hier:
 

http://www.MuensterlandZeitung.de/2573312


Damit endet unsere Reportage. Wir wünschen Familie Sundermann eine frohe Weihnachtszeit und einen guten Rutsch in ein hoffentlich katastrophenfreies neues Jahr!

Making-Of und Trailer:
http://www.ruhrnachrichten.de/blogs/lebenerleben/Entstehung-einer-Multimedia-Reportage-Die-schwarze-Gefahr-Making-Of-und-Trailer;art145861,2518678
Umfangreiche Artikelsammlung zu den Ölfunden im Münsterland:
http://www.ruhrnachrichten.de/%D6lfunde+im+M%FCnsterland./
Bedrohtes Venn und Moor - eine Facebookseite:
https://de-de.facebook.com/pages/Bedrohtes-Venn-und-Moor/1504158813146252
ZDF-Beitrag vom 3.12.2014:
http://www.zdf.de/zdfzoom/zdfzoom.zdf.de-35933992.html
Redaktion: Henning Brinkmann, Benjamin Konietzny, Nils Lindenstrauß
Programmierung: Nils Lindenstrauß
Videos: Kevin Kisker
Gestaltung: Nils Lindenstrauß, Debora Mühe
Fotos: Jessica Beck, Sebastian Deppe, DPA, Stefan Grothues, Benjamin Konietzny, Christiane Nitsche, RWE, Klaus Wiedau, Malte Woesmann
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Verantwortlich i.S.v. § 55 RStV: Dr. Wolfram Kiwit


Online-Streitbeilegung

Die Europäische Kommission stellt unter http://ec.europa.eu/consumers/odr/ eine Plattform zur außergerichtlichen Online-Streitbeilegung (sog. OS-Plattform) bereit.


Keine Bereitschaft zur Teilnahme an Streitbeilegungsverfahren

Der Unternehmer ist grundsätzlich nicht bereit und verpflichtet, an Streitbeilegungsverfahren vor Verbraucherschlichtungsstellen im Sinne von § 36 Abs. 1 Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) teilzunehmen. Davon unberührt ist die Möglichkeit der Streitbeilegung durch eine Verbraucherschlichtungsstelle im Rahmen einer konkreten Streitigkeit bei Zustimmung beider Vertragsparteien (§ 37 VSBG).

Die schwarze Gefahr
  1. Hier war mal Heimat
  2. Der Tag, an dem das Öl kam
  3. Die Kühe benehmen sich komisch
  4. So sieht es unter dem Hof aus
  5. Wie kommt das Öl unter die Erde?
  6. Die Welt steht Kopf
  7. Ein glimpflicher Ausgang?
  8. Weihnachtspläne
  9. Epilog
  10. Weiterführende Links
  11. Mitwirkende
  12. Impressum