Dortmund und die Windkraft

Wie der kleine Stadtteil Schnee zum Sinnbild für die Debatte über die Energiewende wird

Alles ist gesagt zur Zukunft der Windenergie in Dortmund, das Verfahren geht jetzt seinen Gang. Meint die Stadt Dortmund. Es muss noch viel mehr gesagt werden. Meinen diejenigen, die befürchten, das vor ihrer Haustür bald ein Riese steht, der die Landschaft zerstört, Tiere gefährdet und Grundstücke entwertet.

Der Ort, an dem sich dieser Konflikt abspielt, heißt Schnee und ist einer der kleinsten Stadtteile Dortmunds. „Auf den“ man fährt, nicht „in den“ man fährt, weil es eben hoch hinauf geht, durch Dortmunds Panorama-Gebiet mitten in ein Stück Natur am Stadtrand.

Man könnte die Debatte abtun als Zwergenaufstand von besorgten Grundbesitzern. Oder sie als das sehen, was sie ist:

Ein ziemlich gutes Beispiel dafür, in welchem Konflikt Klimaschutz und Naturschutz stehen können, obwohl ihr Ur-Interesse das selbe ist.
Ein ziemlich gutes Beispiel dafür, wie unterschiedlich politische Entscheidungen auf dem langem Weg von der abstrakten Planung bis in die Wirklichkeit der Bürger wahrgenommen werden können.
RN-Reporter Felix Guth hat beiden Seiten zugehört.

Wichtiger Uhu, unwichtiger Uhu

Worum es den Bewohnern vom Schnee geht

Im November ist dem BVB-Stürmerstar Pierre-Emerick Aubameyang ein Uhu in den Kamin seines Hauses in Lücklemberg gefallen. Die Feuerwehr rettete das Tier, zahlreiche Medien berichteten, im Internet ging Aubas Uhu „viral“, wie man bei großer Verbreitung einer Nachricht sagt.

Dass Anfang Januar nur wenige Kilometer von Lücklemberg ein Uhu auf einem Zaunpfosten gesichtet wird, ist niemandem eine Eilmeldung wert. Für die Mitglieder der Initiative „Rettet den Schnee“ könnte es die Nachricht sein, die alles entscheidet. Frank Bergmann, Ariane Massier, Lena Hültenschmidt, Jürgen Voigtländer und ihre Mitstreiter sammeln jedes Argument gegen den Bau einer Windkraftanlage, das sie finden können. Da hilft jede Tierart, die im Gebiet mit dem Namen Großholthauser Mark gefunden wird. Je seltener, desto besser. Ein Uhu, sollte er sich hier dauerhaft niederlassen wäre da ein gewichtiges Pfund.

Manche Mitglieder der Initiative wohnen seit Jahrzehnten auf dem Schnee, andere erst seit wenigen Jahren. Gemeinsam ist ihnen die Sorge um das, was sie so schätzen. Die unberührte Natur vor der Haustür, der morgendliche Mufflon-Besuch, die Zugvögel über den Feldern, die vielen Waldbewohner, der Weitblick. Dass hier in naher Zukunft zwei über 200 Meter hohe Windräder stehen sollen – für die selbst ernannten Schnee-Retter unvorstellbar.

Und zugleich erschreckend konkret: Denn den Anwohnern liegen nach eigenen Angaben bereits Entwürfe vor, die Größe und Auswirkung einer Anlage genau erahnen lassen. Die darin auftauchende Errichter-Firma „Ostwind“ hatte sich im November 2016 auf Anfrage durch Unternehmenssprecher Christoph Markl-Meider zurückhaltend, aber interessiert geäußert:

„Da das Flächennutzungsplanverfahren der Stadt Dortmund als Trägerin der kommunalen Planungshoheit noch nicht einmal das Entwurfsstadium erreicht hat, ist es zu früh, um über mögliche Geschäftsaktivitäten von Ostwind auf Dortmunder Stadtgebiet Auskunft geben zu können.“ Ostwind-Sprecher Christoph Markl-Meider signalisiert aber Auskunftsbereitschaft, „wenn ein entsprechendes Windenergieprojekt in Dortmund konkret werden würde.“

Eine ähnlich abwartende Haltung hatte Frank Oehmchen formuliert, einer der Eigentümer der potenziell genutzten Felder in der Großholthauser Mark.

"Das ist alles noch nicht spruchreif. Aber ich sage auch offen: Wenn es die Chance gibt, so etwas auf seiner landwirtschaftlichen Fläche zu verwirklichen, ist das finanziell lukrativ. "In Zeiten, in denen die Landwirtschaft nicht auf Rosen gebettet ist, muss die Möglichkeit dazu gegeben sein."

Offizielle Anträge liegen der Stadt Dortmund noch nicht vor. In einem Genehmigungsverfahren für Windräder hätte das Umweltamt in Hagen (auch für Dortmund und Bochum zuständig) das letzte Wort.

Zuletzt hatte der Verwaltungsvorstand der Stadt Dortmund mit Verweis auf das laufende Flächennutzungsplanverfahren darauf verwiesen, dass in den nächsten zwei bis drei Jahren ohnehin nichts passieren werde.
Beruhigt hat das die Leute auf dem Schnee nicht.

Seit im November die Fläche als mögliche „Windkraftkonzentrationszone“ in einem Gutachten des von der Stadt Dortmund beauftragten Büros Ökoplan aufgetaucht ist, läuft der Protest auf vielen Kanälen.

Facebook-Präsenz, Online-Petition, Flugblätter, Info-Treffen, Besuch politischer Sitzung, Gespräche mit Stadtplanern. Keine Massenbewegung, aber mit mehreren Hundert Unterstützern doch ein immer größer werdender Kreis an Kritikern.

„Entstanden ist es aus einem persönlichen Eindruck heraus. Aber je tiefer man das Thema hinterfragt, desto mehr kommt man zu der Einsicht, dass es bundesweit einheitliche Regelungen geben muss“, sagt Frank Bergmann. Mittlerweile haben sich auch Anwohner aus Löttringhausen, Kirchhörde und Lücklemberg der Initiative angeschlossen. Es gibt einen Austausch mit Bürgerinitiativen in ganz Deutschland. Gemeinsam sammeln sie Argumente gegen Windkraft vor ihrer Haustür.

Nach drei Monaten stellen die “Schnee-Retter” aber auch fest: Ihr Engagement verstehen nicht alle, das Thema spaltet die Nachbarschaft. Auch, weil es so schnell dazu animiert, grundsätzlich zu werden.

Beispielhaft ist eine Diskussion zwischen den Schnee-Aktivistenauf Facebook und einem Mann aus Kruckel. Also einem Ort, der auch in einer ganz lokalen Energie-Debatte über Hochspannungsleitungen durch Wohngebiete steckt. „Atomstrom-doof, Kohlestrom-doof, Biogasstrom-doof, Solarstrom-doof, Windstrom-auch doof. Am besten ist wohl Strom aus der Steckdose“, schreibt der Kruckeler.

Die Initiative vom Schnee antwortet: „Leider wird bei dieser Energiewende der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Wir alle wollten mit dem Atomausstieg unsere Umwelt und unseren Lebensraum schützen. Dass wir diesen Raum jetzt in rasantem Tempo unwiederbringlich mit Windrädern zerstören, das ist lange keinem aufgefallen.“

Was soll Dortmund eigentlich mit Windrädern?

Die Vorgeschichte

Aus Familienvätern und Müttern im ruhigen Stadtteil sind innerhalb von Wochen Aktivisten mit großer Energie geworden. Um diese Verwandlung zu verstehen, muss der Blick gut sechs Jahre zurück gehen – und weit über den Horizont der Großholthauser Mark hinaus.

Die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima beschleunigt 2011 das schon vorher begonnene Umdenken in der deutschen Energiepolitik. Der Ausbau regenerativer Energieträger, insbesondere der Windkraft, gewinnt seitdem an Tempo. Das NRW-Umweltministerium veröffentlicht 2011 den Windenergieerlass, der 2015 noch einmal novelliert wird.

Der Auftrag an die Kommunen: Der Windkraft soll „substanziell Raum verschafft“ werden, dafür müssen die sogenannten Windkraftkonzentrationszonen definiert werden. Zugleich regelt der Erlass auch das Verfahren, nach dem Kommunen wie Dortmund steuern können, auf welchen Flächen Windkraftanlagen überhaupt errichtet werden dürfen.

Stadtsprecherin Heike Thelen sagt:

„Wenn eine Kommune eine ,Verspargelung‘ der Landschaft vermeiden und die Windenergieanlagen auf bestimmte Standorte lenken will, ist die Darstellung von Konzentrationszonen im Flächennutzungsplan notwendig.“

Denn Windenergieanlagen stellen eine sogenannte „privilegierte Nutzung im Außenbereich“ dar und sind daher grundsätzlich planungsrechtlich möglich. Übersetzt: Jedes Unternehmen könnte kommen und bauen. Es gibt Städte, die keine Konzentrationszonen ausweisen, etwa Lünen.

2013 legt das Stadtplanungsamt in einem städtischen Gesamtkonzept deshalb nach bestimmten Kriterien Flächen fest, die potenziell infrage kämen. Die seit 1998 bestehenden Konzentrationszonen erfüllen zum Teil nicht die heutigen Anforderungen, etwa was Fragen nach Wohnbebauung, Hochspannungsfreileitung innerhalb der Konzentrationszone, fehlende Abstände zur Wohnbebauung, Autobahn, Hochspannungsfreileitung angeht. 2014 wird das Gutachten der Öffentlichkeit vorgestellt.

Es gibt Anregungen, das Konzept wird noch einmal überarbeitet. Im September 2015 geht es in die politische Beratung. Im Februar 2016 gibt es erneute Einwände im Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen – die Schutzzone für Wohngebäude und Mischflächen soll 450 Meter betragen. Zu diesem Vorschlag erarbeite ein Gutachterbüro aus Bochum derzeit eine Stellungnahme, die im Verlauf des ersten Halbjahres 2017 vorliegen soll.

Auch gegen die als Konzentrationszonen empfohlenen Flächen „Brechtener Niederung“ und „Umfeld Güterverteilzentrum Ellinghausen“ wurden Einwände vorgebracht.

Die bisherigen Windkraftstandorte befinden sich seit 1997 am Steinsweg in Eichlinghofen, im Salinger Feld und in Ellinghausen.


Das Fazit:
  1. Die Energiewende ist politischer Konsens.
  2. Die Kommune hat den Auftrag Flächen zu finden und setzt das um.
  3. Sie tut das aus ihrer Sicht im Sinne der Bürger, die nahe von Freiflächen leben.
  4. Es ist noch nichts entschieden.

Und warum sind die Menschen auf dem Schnee dann so verärgert?

Was habt ihr eigentlich gegen Windkraft?

Die Argumente der Gegner

Die Liste der Argumente, mit denen die Initiative arbeitet ist lang und sie gleicht inhaltlich dem, was viele vergleichbare Gruppen an anderen Orten in NRW.

  • Lärmimmission (107 dB), Dauerlärm und langfristige Auswirkungen durch nicht wahrnehmbaren Infraschall.
  • Schattenwurf und Dauerblinken.
  • Errichtung der Anlage in einer Zugvogelroute. Risiko durch Eisplattenwurf, Brandgefahr, Einsturz der Windräder.
  • Risiko durch Eisplattenwurf, Brandgefahr, Einsturz der Windräder.
  • Zerstörung eines beliebten Naherholungs- und Landschaftsschutzgebiets.
  • Gefahr durch die Errichtung der Anlage auf einer historischen Flachbergbaufläche (wenige Hundert Meter von der Stelle an der A 45 entfernt, an der Tagesbrüche immer wieder für Probleme sorgen).
  • die Anlage liegt im Anflugbereich des Dortmunder Flughafens.
  • die Nähe zu Wohnbebauung und Naturschutzgebiet erfordert so viele Ausnahmeregelungen, dass die Anlage nur ineffektiv sein kann.

Frank Bergmann von Initiative “Rettet den Schnee” sagt zusammenfassend:

“Denkt man an die Aufbaulogistik und Wartung der Anlage, frage ich mich: Was ist in dem Moment noch Ökostrom?“

Das Gefühl ist so stark, weil der ganze Ärger so unnötig erscheint. „Die Fläche hätte nie mit in die Planung genommen werden dürfen“, sagt Ariane Massier. In einem ersten Plankonzept von Ökoplan war sie auch zunächst als nicht geeignet eingestuft worden. In einer überarbeiteten Fassung vom Herbst 2016 taucht die Großholthauser Mark aber wieder auf. Denn in der ersten Variante sind die 40 Meter hohen Funkmasten, die rund um die Felder verteilt sind, nicht erfasst. Gemeinsam mit der nahen Autobahn 45 ergibt dies eine „hohe Vorbelastung“ der Fläche. „Daher wurde sie im Sinne der Gleichbehandlung der Fläche mit den anderen Potenzialflächen auf Dortmunder Stadtgebiet fortan als geeignet beziehungsweise bedingt geeignet eingestuft“, sagt Stadtsprecherin Heike Thelen.

Vorbelastet fühlen sich die Anwohner aber nicht. Ganz im Gegenteil. Sie kritisieren, dass die Stadt Dortmund mit falschen Windrad-Größen argumentiere. Und deshalb alle Argumente bezüglich der Abstände zu Wohnflächen hinfällig sein. Die Bürgerinitiative geht von einer Anlagengröße von insgesamt 215 Metern (inklusive Rotorblatt) aus, was der genannten Größe im Entwurf entspricht. Die Stadt Dortmund erklärt auf Nachfrage, dass sie von einer Referenzanlage ausgeht, die dem technischen Stand entsprechend „mindestens 150 Meter“ hoch ist. „Welche genauen Abstände zwischen Windenergieanlagen und anderen Nutzungen einzuhalten sind, ist in jedem Einzelfall im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen“, sagt Heike Thelen.

Eine Debatte wie ein Tennis-Match

Die vielen Unklarheiten

Es ist die Stelle, an der sich die Debatte anfühlt wie ein nicht enden wollendes Grundlinien-Duell beim Tennis. Immer wieder jagt die eine Seite den Ball über das Netz. Die andere pariert. Der Ball wird noch eine Weile hin und her fliegen. Mindestens bis ein politischer Beschluss fällt, ob der Flächennutzungsplan für die Großholthauser Mark von 2004 geändert wird. Kommt es soweit, wollen die Mitglieder der Initiative bereit sein.

Das erklärt das große Interesse am Uhu und an allen anderen Arten, die hier ihren Lebensraum haben. „Wir dokumentieren gerade vieles auf eigene Initiative. Denn im Ökoplan-Gutachten gibt es keine vernünftige Daten-Grundlage für die Artenschutzprüfung“, sagt Lena Hültenschmidt aus der Bürgerinitiative. Fledermaus, Kauz, Mäusebussard, Buntspecht und andere Namen stehen schon auf der Liste. Seit Kurzem auch der Uhu.

Die Stadt Dortmund verweist darauf, dass bisher keine konkreten Hinweise auf Vorkommen von Windenergieanlagen-empfindlichen Arten vorliegen, wie sie in § 44 Bundesnaturschutzgesetz definiert sind. Zum Flächennutzungsplanverfahren gehört auch eine weitere Überprüfung der vorhandenen Arten. Zur Frage, ob die Ergebnisse der Sammlung der Anwohner in diese Bewertung einfließen, sagt Heike Thelen: „Wenn an die Stadtverwaltung über eigene Erkenntnisse hinaus Informationen zu beobachteten Tierarten im Bereich der Potenzialflächen herangetragen werden, wird verwaltungsintern geprüft, ob sie für das weitere Planverfahren Relevanz besitzen.“

Thomas Quittek, Sprecher des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) in Dortmund, findet die aktuelle Diskussion im Dortmunder Süden „berechtigt“. Generell sei die Suche nach Standorten in einem dicht besiedelten Gebiet wie Dortmund schwierig. „Aber am Ende vermute ich, dass die Stadt wegen der Vorgaben des Landes nach der Linie verfährt, dass vier bis fünf Standorte bleiben werden“. Denn die Stadt muss eine Art Quote des Landes erfüllen. Auch, um später Rechtssicherheit gegenüber möglichen Investoren zu haben, die sie ohne die Konzentrationsflächen nicht hätte.

Dabei werden bei der Frage nach dem Artenschutz nur „planungsrelevante Arten“ als Hemmnis gesehen, also solche, die geschützt sind. Dazu gehören etwa Vogelarten wie Rohrweihe oder Rotmilan. Letzterer war beim Sportplatzbau in Kurl ein wichtiger Faktor, erstere wurde in Brechten nachgewiesen. „Nach den bisherigen Untersuchungen gibt es solche Arten in der Großholthauser Mark nicht. Aber das muss jetzt noch einmal überprüft werden. Zudem können die Anwohner andere Fragen mit einbringen, etwa was an Schattenwurf oder Lärm zumutbar ist“, sagt Thomas Quittek.

Grundsätzlich sei ein „Landschaftsschutzgebiet“ wie die Großholthauser Mark nicht von der Nutzung für Windkraft ausgenommen. Sonst käme in Dortmund nahezu keine Fläche infrage. Nur Naturschutzgebiete sind laut des NRW-Windenergieerlasses tabu.

Das Argumente-Tennis geht weiter. „Es kommt uns so vor, als hätte das städtische Planungsamt für jedes Argument einen Plan B. Nach dem Motto: Dann planen wir es eben so, dass es passt“, sagt Frank Bergmann.

So wird aus berechtigten Fragen schnell grundsätzliches Misstrauen. Was bis zu der Frage führt, ob es nicht wenige Personen sind, die mit einem geschäftlichen Interesse die Planung vorantreiben. Mitglieder der Initiative glauben, geschäftliche Beziehungen zwischen den Eigentümern von Potenzialflächen im Norden und Süden Dortmunds festgestellt zu haben.

Tatsächlich gibt es verschiedene Verbindungen zwischen an landwirtschaftliche Betriebe angegliederte Unternehmen. Inwieweit sie eine Rolle spielen, ist unklar. Dazu die Stadt Dortmund: „Die Kriterien wurden in Anlehnung an die aktuelle Rechtsprechung und Empfehlungen aus dem Windenergieerlass des Landes Nordrhein-Westfalen gebildet. Eigentumsverhältnisse fanden dabei keine Berücksichtigung und spielen in diesem Zusammenhang auf Ebene des Flächennutzungsplans auch keine Rolle.“

Was macht das alles für einen Sinn?

Warum es um das große Ganze geht

Es bleibt am Ende dieses anstrengenden Spiels, die Frage: Wozu dieser ganze Aufwand? Für ein paar wenige Windräder, die zwar ein gut gemeintes Zeichen für ernst gemeinten Klimawandel sind, von denen aber aktuell niemand sagen kann, wie viel Strom sie konkret liefern werden?

Die Landesregierung NRW hat sich das Ziel gesetzt, den CO₂-Ausstoß bis 2020 um 25 Prozent und bis 2050 um 80 bis 95 % zu reduzieren und will das vor allem über den Ausbau der Windenergie erreichen. Jede Kommune soll dazu einen Teil beitragen.

Das Grundproblem: In den küstennahen Regionen wird viel Strom durch Wind erzeugt. Es fehlt aber an Transportwegen in den Süden. So kommt zu wenig von der vorhandenen Energie in den Netzen an. Und fossile Energieträger bleiben weiterhin die Hauptquelle für den immensen Stromhunger dieses Landes.

Hier auf dem Schnee, das betonen Frank Bergmann, Ariane Massier, Lena Hültenschmidt und Jürgen Voigtländer, ist niemand grundsätzlich gegen die Energiewende. Aber blicken sie auf die vielen offenen Fragen zum Thema Transport des Stroms oder die unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern, ergibt das am Ende kein stimmiges Bild. Dafür will hier niemand Lebensqualität (und finanzielle Vorsorge) riskieren. Dafür will niemand prächtige Landschaft drangeben, die das Leben hier schon so lange prägt.

Hinter dem Horizont der Großholthauser Mark ist die Stimmung noch deutlich gereizter. In Hagen kämpft eine Bürgerinitiative schon seit fünf Jahren gegen Windkraftanlagen, dort hat der Bau auch ohne Genehmigung schon begonnen. Seit in Dortmund zunächst in Brechten und dann auf dem Schnee die Diskussion begonnen hat, mehren sich die Beiträge von außen. Dieses Redaktion haben etwa Briefe aus Warstein im Sauerland erreicht, wo sich die lokale Politik geschlossen gegen den Bau von Anlagen ausgesprochen hat. Im Saarland gibt es ähnliche Fronten, in Brandenburg, in Hessen. Bayern hat die große Protestwelle schon hinter sich: Hier haben Print-Artikel Gerichte sehr strenge Abstandsregelungen festgelegt haben („10H-Regelung“). Für Unternehmen wie “Ostwind”, in Regensburg gegründet, ist der Freistaat deshalb weniger interessant geworden. Doch weil jedes Bundesland bei der Windkraft seine eigenen Regularien definiert, fragen die Betreiberfirmen nun auch dort an, wo sich Windenergie nicht auf den ersten Blick lohnt.

“Ostwind” und andere Unternehmen werben etwa mit Bürgerbeteiligungen an den Anlagen. Für Grundstückseigentümer sind die großen Räder ohnehin attraktiv - für viele im Umfeld jedoch nicht.

Es ist möglich, das gar nichts passiert. Dass im weiteren Verfahren gute Gründe gegen Windkraft auf dem Schnee gefunden werden. Und wenn die Windräder doch kommen? Diesen Gedanken schieben die Bewohner des Schnee noch weit weg.

Sie sehen zugleich, dass sie nicht die einzigen mit diesen Gedanken sind. Die Debatte erhält in der jüngeren Vergangenheit eine neue Öffentlichkeit. Die Windenergie wird zum Talkshow-Thema, sie wird auch zum Satire-Thema.

Zugleich ist der Ton bei vielen bitterernst. Und die Allianzen, die sich bilden mitunter unheilvoll. Denn Kritik an der Energiewende kommt häufig aus den selben Lagern, aus denen auch generalisierte Kritik an der deutschen Flüchtlingspolitik, dem Islam oder eine offenen Gesellschaft kommt. Es fallen dann Begriffe wie “Deutschlands Zerstörung”.

Vielleicht ist all das, was gerade passiert genau das richtige. Denn über das Thema Windenergie offen zu reden hilft. Es ist sogar ungeheuer wichtig. Es nicht zu tun, hieße auch, denen das Feld zu überlassen, die den Klimawandel ohnehin für grüne Spinnerei halten. Eine Meinung, die in Zeiten von wissenschaftsfeindlichen US-Präsidenten nicht gerade unpopulärer wird.

Keiner der Menschen, mit denen ich auf dem Schnee gesprochen habe, hält Windenergie für überflüssig. Sondern eher für eine unverzichtbaren Baustein, um Energie-Standards zu halten, die wir alle wollen. Um, ganz platt gesagt, auch in 100 Jahren noch eine Welt zu haben.

Doch es genügt nicht, einmal das Wort Energiewende zu sagen, Atomkraftwerke herunter zu fahren und dann zu glauben, alles regelt sich von selbst. Es ist ein langer Prozess von der abstrakten Planung bis zur Wirklichkeit. Am Ende wird jedes Windrad vor irgendjemandes Haustür stehen. Die Frage nach dem Gleichgewicht bleibt die entscheidende.

Allzu schnell, das hat schon der Hype um die Solarenergie vor einigen Jahren gezeigt, überhitzt sich ein wirtschaftlich attraktiver Markt. Die Räder überdrehen. Es wird ungerecht. Das darf nicht sein.

Gerade eine Stadt wie Dortmund mit all ihren urbanen Belastungen braucht dabei auch Landschaften, die sich ungestört entwickeln können. So ungestört, wie es eben geht zwischen Autobahn und Flughafen.

Text, Layout & Konzeption: Felix Guth

Fotos: Felix Guth, Peter Bandermann, Jörg Bauerfeld, Oskar Neubauer, Dieter Menne, Stephan Schütze

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Online-Streitbeilegung

Die Europäische Kommission stellt unter http://ec.europa.eu/consumers/odr/ eine Plattform zur außergerichtlichen Online-Streitbeilegung (sog. OS-Plattform) bereit.


Keine Bereitschaft zur Teilnahme an Streitbeilegungsverfahren

Der Unternehmer ist grundsätzlich nicht bereit und verpflichtet, an Streitbeilegungsverfahren vor Verbraucherschlichtungsstellen im Sinne von § 36 Abs. 1 Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) teilzunehmen. Davon unberührt ist die Möglichkeit der Streitbeilegung durch eine Verbraucherschlichtungsstelle im Rahmen einer konkreten Streitigkeit bei Zustimmung beider Vertragsparteien (§ 37 VSBG).

Dortmund und die Windkraft
  1. Section 1
  2. Wichtiger Uhu, unwichtiger Uhu
  3. Was soll Dortmund eigentlich mit Windrädern?
  4. Was habt ihr eigentlich gegen Windkraft?
  5. Eine Debatte wie ein Tennis-Match
  6. Was macht das alles für einen Sinn?
  7. Was bleibt
  8. Credits und Impressum